Eine kleine Geschichte von „Rom*nja“ und „Sinti*zze“oder Woher kam das Gendern.

Von: Hajdi Barz

Es war am 8. April 2011, als wir mit den Jugendlichen des Roma Informations Centrum Banner malten, um unseren Tag mit einer Demo politisch begehen zu können. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits die IniRomnja seit einigen Jahren. Ich hatte das Privileg, seit der ersten Sitzung im Sommer 2007 dabei zu sein und damit – ganz anders als die meisten Rom*nja und Sinti*zze – meine Politisierung als junge Erwachsene ganz selbstverständlich mit anderen FLINTA* mit ähnlichen Rassismuserfahrungen machen zu dürfen. Bevor wir überhaupt Demos organisierten, nahmen wir uns viel Zeit, um uns kennenzulernen. Wir sprachen viel über das Unsichtbar-Sein als Romnja* und Sintizze* an unseren Arbeitsplätzen in der sozialen Arbeit, in der Schule oder an der Uni, ob als Dozentin* oder Lehrerin*. Wir sprachen darüber, wie wir immer wieder in die Position als Sekretärinnen* der Revolution verfrachtet wurden und im Hintergrund die wenig glamouröse Verwaltungs- und Organisationsarbeit übernahmen, was sich spiegelte in einer verschobenen Repräsentation. Es war für uns bereits empowernd, einander zu sehen, Romnja* und Sintizze*, die ähnliche Ausgrenzungen erlebten, aber eine kritische politische Haltung hatten. Wir sprachen viel darüber, was uns verband, obwohl Rom*nja und Sinti*zze unterschiedliche Geschichten, Traditionen und Privilegien hatten. Von Beginn an war der Blick darauf gerichtet, was uns einte, was wir voneinander lernen konnten. Unsere Verständnisse von Rassismus und Empowerment waren unterschiedlich, aber unsere Erfahrungen und unsere Wünsche einten uns. Eine von uns witzelte oft, dass wir alle irgendwie Außenseiterinnen* in unseren Communitys seien und uns deshalb zusammen gefunden hätten. Wir einigten uns schnell darauf, keine Repräsentant*innen sein zu wollen und nur den Anspruch haben konnten, uns selbst zu vertreten. Mit der Zeit lernten wir immer mehr Romnja und Sintizze kennen und begannen einen langsamen Prozess der Öffnung. Wir traten langsam aus unseren Wohnzimmern und Hinterhöfen heraus und versammelten uns an öffentlichen Orten.

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einigen Frauen*, ich hatte gerade einige erste Romanes-Kurse genommen, in einem Versuch, meine gewaltvoll genommene Erstsprache zurückzuerhalten, und ich fragte, warum wir eigentlich nicht gegendert werden. Wir hatten bis dato immer von Roma und Sinti-Frauen gesprochen. Das war grammatikalisch unsinnig, schließlich sagte auch niemand Italiener-Frauen. Ich erinnere mich, wie die Antwort einfach nur lautete: Ja, stimmt – wie machen wir das? Wir einigten uns 2013 auf die folgende Regelung und veröffentlichten sie, wohlgemerkt als Ergänzung, zu einem übersetzten Artikel über die Frage ob Roma mit Rr oder R geschrieben würden, auf unserer Seite:

„Die weibliche Version Rromni wird im plural Rromnja genannt, wenn eine gendergerechte Schreibweise gefordert ist, die alle Geschlechter auch zwischen männlich und weiblich meint, ist der Unterstrich zu empfehlen, dann heißen also alle zusammen: Rromn_ja.“ (Inirromnja 2013)

Damals nutzten wir noch Rrom_nja für alle. Später hörten wir die Kritik von Sinti*zze und fragten unsere ältesten Frauen, wie sie es in ihrem Sintitikes ausdrücken würden. Die Entscheidung fiel auf Sintizza oder Sintezza in der Einzahl. Schließlich werden auch im deutschen Sprachraum unterschiedliche Versionen genutzt, in der Mehrzahl gab es die Sinti*zze. Damals war mein Gefühl bereits, dass wir viel nachzuholen hatten, wenn es darum ging uns zu bezeichnen und unsere Sichtbarkeit als Frauen* einzufordern. Dies war auch immer im Rassismus begründet: Würden die Gadje unsere Unterschiede und Heterogenität in den Positionen nutzen, um uns gewaltvoll zu trennen und unsere Bewegung zu unterminieren? War es sicher, über Sexismus zu sprechen, ohne unsere Männer* einem rassistischen Generalverdacht auszusetzen? Wir waren immer vorsichtig in unserer Sprache. Wir hatten nie den Anspruch, andere dazu zu bringen, unsere Terminologie, Konzepte oder Ideen anzunehmen. Es war unser Anspruch, mit gleichgesinnten Rom*nja und Sinti*zze Räume zu schaffen, uns sprechbar zu machen und unsere Themen in die Räume zu tragen, in denen wir uns bewegten. Wir führten Veranstaltungen durch – und es war uns egal, dass unsere nicht-feministischen Brüder diese für „Sinti und Roma“ ankündigten. Immer wieder wurden wir angefragt zum Thema Sprache, zu richtigen oder „besseren“ Begriffen zu sprechen. Meistens antworteten wir widerwillig. War es nicht wichtiger, was geschah, welche Gewalt wir auf allen anderen Ebenen erlebten? War Sprache nicht die irrelevanteste und gleichzeitig die einfachste Ebene für Veränderung? Waren wir die maßgeblichen Linguist*innen, die entscheiden konnten, was gesagt werden sollte?

Rom_nja hat sich über die Jahre oft verändert, meist geschah dies ohne große Diskussionen: Roma wurden zu Rroma; Rroma zu Rrom_nja, Rrom_nja wieder zu Rom_nja; Rom_nja zu Rom_nja und Sinti_zze, Rom_nja und Sinti_zze zu Rom*nja und Sinti*zze oder Romnja* und Sintizze*; Rom*nja und Sinti*zze zu Rom:nja und Sinti:zze.

Die Neuen deutschen Medienmacher*innen nahmen unsere gegenderte Schreibweise auf, ohne dabei auf uns zu verweisen. Die Unsichtbarkeit der Erschaffer*innen blieb hier also bestehen. In der Unabhängigen Kommission Antiziganismus (UKA) des Bundesinnenministeriums waren die romani Stimmen feministische, die die gegenderte Version einforderten. Immer mit dem Anspruch, Frauen* hör- und sichtbar zu machen. Wir wussten schließlich aus der feministischen Forschung, dass es einen realen Unterschied macht, ob die weibliche Form genannt wird und ob Frauen* sich dann beispielsweise auf Stellen bewarben – oder welche Bilder in den Köpfen entstehen, wenn die feminine bzw. die gegenderte Form genannt wird.

Das Gendern wurde im Deutschen Bundestag diskutiert, als es um die Ergebnisse der UKA ging. Es war ein Abgeordneter der AfD, der sich 90 Sekunden Redezeit nahm, um über Sprache zu sprechen und sich dabei über „Roma Naja“ lustig zu machen. Ein perfektes Beispiel für Derailing, also den Versuch, wichtige Debatten um Bleiberecht, politische Partizipation, Repräsentation, Antidiskriminierung und Erinnerung zu entkräften und von Ihren Kernpunkten abzulenken.

In der Zwischenzeit bauten wir ein Archiv auf, in dem die Werke und die Arbeiten unserer Vorbilder und Vorkämpferinnen* gewürdigt werden. Wir ehren darin Ceija Stojka, ihre Kunst und ihren Mut, über ihr Überleben zu sprechen. Wir fanden Vera Kurtić und lernten über Romnja* Lesbian Existence, Wir staunten über die Heldin Alfreda Noncia Markovska, solidarisierten uns mit Geflüchteten, die das Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti*zze und Rom*nja Europas besetzten, und füllten einen ganzen Monat mit Größen wie Ilona Lagrene und Anita Awosusi. Dabei war uns immer bewusst, dass wir nicht die Mehrheit abbildeten, sondern eine diverse, feine Community von intersektionalen Feminist*innen. Mit der Empowerment-Studie, die von der UKA beauftragt worden war, hatten wir Zahlen: Nur 15% aller Selbstorganisationen verstehen sich als feministisch. Das entspricht durchaus den Zahlen der Mehrheitsbevölkerung, in der auch nur 15% der Menschen sich als „feministisch“ bezeichnen würden (Statista 2021).

Seit dem Jahr 2022 neigt sich die Debatte, angeführt durch Internet-Aktivist*innen, der Frage zu, ob das Gendern der Begriffe „Rom*nja“ und „Sinti*zze“nicht einer Fremdbezeichnung gleichkäme. Dabei heißt es, der Begriff Sinti würde im Sintitikes nicht gegendert. Es heißt weiter, 80% der Sinti*zze und Rom*nja selbst würden den Begriff nicht gendern und das Gendern sei durch die Mehrheitsgesellschaft aufoktroyiert worden. Darauf möchte ich mit diesem Artikel antworten.

Mit der Beschreibung der Geschichte des Genderns unserer Begriffe im deutschsprachigen Raum wird hoffentlich klar, dass der Vorschlag aus romani-feministischer Bewegung entstammt, dass unsere ältesten Frauen uns halfen, die korrekte Form, die zumindest in ihrer sehr elaborierten Sprache bestand, zu nutzen. Zum Vorwurf, dass 80% der Menschen diesen Begriff nicht für sich selbst nutzen, würde ich sagen: Ja, das ist wahr und die Realität. Allerdings gendern wir aus der Überzeugung heraus, dass wir ein Recht auf Sichtbarkeit haben. Genauso, wie wir niemals die rassistische Fremdbezeichnung genutzt hätten, als noch eine Mehrheit der Unseren die eigenen Begriffe kaum nutzen konnte, weil niemand sie verstanden hätte.

Ich möchte deswegen feststellen, dass es sich nicht um eine Fremdbeschreibung handelt und dass wir selbst diese Sternchen, Unterstriche und Doppelpunkte in den Sprachgebrauch einpflegen durften. Die Nutzung dieser gegenderten Formen durch Außenstehende sehe ich als feministische Solidarisierung – und ich erwarte, dass dies nicht geschieht, weil „die Community“ gesagt hat, es sei richtig, sondern weil Gadje selbst eine Haltung haben und diese auch vertreten können, unabhängig von unseren Stimmen. Schließlich sind wir heterogen in unseren Verständnissen von Sprache, von Rassismus und von Sexismus. Dieses Recht haben wir auch. Es ist fatal zu glauben, wir könnten einander in unserer Vielfalt „vertreten“, also repräsentieren.

Dieser Text ist ein Versuch zu antworten, nicht zu vorzuschreiben. Er ist kein Katalog bestimmender Aussagen, sondern eine Geschichte, eine Perspektive von vielen – mit dem bescheidenen Wunsch, zum solidarischen Nachdenken anzuregen.

Es geht doch für alle Einzelnen darum zu fragen, wie sie Sprache gestalten möchten, und auch im Größeren darum, wie wir unsere Bewegungen gestalten möchten. Wollen wir uns wegen Doppelpunkten trennen – oder ist es nicht unsere Herausforderung, trotz aller Differenzen weite Bündnisse zu schaffen? Ich frage mich, ob wir nicht weiterkommen, wenn wir die Effekte der Sprache und die ihr zugrundeliegende Realität in den Vordergrund rücken. Wenn wir über Zwangssterilisationen, über Entinnerung unserer Frauen*, wenn wir über unbezahlte, nicht wertgeschätzte harte Sorgearbeit unserer Mütter nachdenken, über die Realitäten unserer lesbischen Schwestern in dieser homophoben Welt, über die Sekretärinnen* der Revolution… Vielleicht würden wir dann alle einen Zugewinn finden, Sprache könnten wir weiterhin anpassen – oder weiterhin nicht anpassen –, aber wir würden einen tieferen Sinn von Solidarität finden uns auf Gemeinsamkeiten besinnen.

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